Manchmal muss man warten

Die Rezession in den Industrienationen lässt auf sich warten. Negative Realzinsen und ein starker Arbeitsmarkt verhindern bisher das Abgleiten der westlichen Welt in eine Rezession. In den Schwellenländer sind dagegen bereits positive Tendenzen zu erkennen.

Selten hat der Frühling so lange auf sich warten lassen. Es war zu grau, zu nass und zu kalt. Seit Auffahrt ist der Frühling nun da und kommt dafür gleich schon recht sommerlich daher.

Genauso lange wie auf das warme Wetter scheint die Rezession in den Industrienationen auf sich warten zu lassen. Monat für Monat sind zuerst die vorlaufenden Indikatoren der Konjunktur und dann auch die harten Wirtschaftszahlen schlechter geworden. Und dennoch beobachten wir Arbeitskräftemangel und positives Wachstum.

Schwellenländeranlagen sind nochmal attraktiver geworden.

Anlass zur Sorge gibt nach wie vor die schlechte Stimmung der Konsument:innen. Die im April erhobene Statistik ist immer noch auf Niveaus wie mit Ausnahme von Corona zuletzt vor fast 30 Jahren. Selbst in der Finanzkrise waren die Menschen in der Schweiz bezüglich ihrer finanziellen Lage optimistischer für die wirtschaftliche Zukunft als heute. Auch die Industrieunternehmen haben sich vom Pessimismus anstecken lassen und erwarten mittlerweile eine Rezession. Einzig die Dienstleistungsfirmen sind noch halbwegs optimistisch.

Neben der Stimmung sind aber auch die realen Wirtschaftsdaten in den vergangenen Monaten immer schlechter geworden. So enttäuschen die Detailhandelszahlen seit dem Weihnachtsgeschäft. Die Warenimporte sind ebenfalls ganz schwach, was auf eine merkliche Abkühlung der Binnenkonjunktur hindeutet. Die Wertschöpfung in der Bauwirtschaft und bei den Finanzdienstleistern ist sogar seit mehreren Quartalen rückläufig.

Und dennoch verharrt die Arbeitslosigkeit auf tiefem Niveau und die Unternehmen klagen über Arbeitskräftemangel. Das liegt nicht nur daran, dass der Staat und das Gesundheitswesen in den letzten drei Jahren mehr Mitarbeiter:innen angezogen haben und immer mehr Mitarbeiter:innen Teilzeit arbeiten. Die gute Konjunktur am Arbeitsmarkt ist vor allem auch die Folge davon, dass die Zinsen noch immer unter der Inflationsrate liegen und somit unter dem langfristigen Durchschnitt.

Nicht nur bei uns, sondern auch in Europa, Grossbritannien, den USA und in Japan liegen die realen Zinsen trotz teilweise deutlicher Zinsanhebungen immer noch im negativen Bereich. Da lohnt es sich nicht, das Geld auf dem Konto liegen zu lassen. Selbst bei einer Verzinsung verliert das Ersparte dort schlussendlich inflationsbedingt an Kaufkraft. Die durch die real immer noch negativen Zinsen ausgelösten Wachstumskräfte verzögern den Beginn der Rezession. Dass sie die Weltrezession aber ganz aufhalten können, erscheint uns dagegen eher unwahrscheinlich. Damit ähnelt sich das Bild in praktisch allen Industrieländern: schwache Stimmung, guter Arbeitsmarkt und in der Summe schwaches, aber eben bisher immer noch positives Wachstum.

Dieses Bild kontrastiert mit der Lage in den grossen Schwellenländern. Dort sind deutlich stärkere Wachstumssignale zu erkennen. Indien und Indonesien sind gut unterwegs, China erholt sich – auch wenn das noch zögerlich aussieht – von dem coronabedingten Einbruch im Winter. Damit ist aber bereits für fast die Hälfte der Weltbevölkerung der Wirtschaftsausblick positiv. Viele Schwellenländer profitieren zudem vom Abwärtstrend des Dollars. Für uns ist das Grund genug, um nach der Aufstockung von Schwellenländeranleihen im April in diesem Monat eine Aufstockung auch der Aktien in den Schwellenländern zu empfehlen. Wir bleiben aber ingesamt bei den Aktien vorsichtig und damit untergewichtet.

Über Philipp Merkt

Philipp Merkt arbeitet seit 2015 bei PostFinance – aktuell als Chief Investment Officer und Leiter Asset Management Solutions. Der gebürtige Solothurner hat an der Universität Fribourg Informatik und Wirtschaft studiert und hat einen MBA mit Schwerpunkt Finance der Universität Bern sowie der Simon Business School der University of Rochester NY.

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