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Erstellt am 20.05.2019

Wie verändert sich unsere Arbeitswelt? Wir holen zwei Expertenmeinungen ein

Welche Jobs werden aufgrund der Digitalisierung wegfallen? Welche hinzukommen? Und vor allem: Wie können wir uns auf die Änderungen auf dem Arbeitsmarkt einstellen? Wir fragen die Professorin Patricia Wolf und den KOF-Arbeitsmarktexperten Michael Siegenthaler nach ihrer Einschätzung.

Patricia Wolf, Professorin für Innovationsmanagement und Mitglied des Zukunftslabors CreaLab der Hochschule Luzern

Welche Jobs werden wegdigitalisiert?

Grundsätzlich gefährdet sind jene Jobs, bei denen hauptsächlich repetitive Aufgaben erledigt werden, die durch Technologien ersetzt werden können. Bei diesen Jobs nimmt die Nachfrage nach menschlicher Arbeitskraft ab. Und zwar ganz gleich, ob die Arbeitsproduktivität dadurch gesteigert wird, wie zum Beispiel bei Buchhaltern und kaufmännischen Angestellten, oder gleich bleibt, wie bei Kassierern oder Maschinisten.

Und welche Jobs gehören zu den Gewinnern?

Gross wird die Nachfrage nach Jobs mit Nicht-Routine-Aufgaben sein, bei denen sich die menschliche Arbeitskraft nicht durch Technologien ersetzen lässt. Je weniger bei diesen Jobs die Technologie dazu beiträgt, die Arbeitsproduktivität zu erhöhen, desto gefragter ist die menschliche Arbeitskraft. Forschende, Lehrerinnen und Manager haben damit beste Voraussetzungen. Aber auch Reinigungskräften, Coiffeuren oder Strassenverkäufern werden trotz Digitalisierung und Automatisierung intakte Chancen auf dem Arbeitsmarkt zugesprochen.

Worauf sollten wir uns als Arbeitskräfte einstellen?

Wohin sich unsere Gesellschaft und der Arbeitsmarkt entwickeln werden, kann niemand genau vorhersagen. Aber wir können in verschiedenen Zukunftsszenarien denken und daraus Fähigkeiten ableiten, die besonders gefragt sind. Nehmen wir an, dass wir in einer Welt mit grossen Chancen zur Selbstverwirklichung leben werden: Hier werden sich vor allem Leute finden, die als Wissens- und Kreativarbeitende tätig sind. Aber auch Menschen, die sozio-emotionale Fähigkeiten besitzen und pflegen, sich kümmern, motivieren und beraten können, sowie Arbeitskräfte, die dank ihrer technischen und ICT-Fähigkeiten in der Lage sind, die technologischen Infrastrukturen zu unterhalten und weiterzuentwickeln. Es wären also alles Dinge, die Menschen sehr gut und gerne machen. Aber es könnte auch anders kommen: Was passiert etwa im Fall einer Naturkatastrophe oder wenn unsere Kommunikationsmittel ausfallen? Wie geht es dann mit unserer Arbeit weiter? Sich solche Fragen zu stellen, lohnt sich.

Was heisst dies für den Einzelnen?

Dass man darüber nachdenken sollte, was man besonders gut kann und wie man diese Fähigkeiten in verschiedenen Szenarien einsetzen könnte. Denn alle können irgendetwas besonders gut. Ein Kassierer zum Beispiel hat vielleicht die Fähigkeit, Menschen freundlich zu bedienen. Dies wäre eine gute Voraussetzung fürs Personal Shopping.

Kommt der Wandel furchterregend schnell?

Es herrscht heute viel Hysterie. Unbegründeterweise. Es ist schon wichtig, agil zu bleiben. Aber etwas muss man wissen: Der Mensch ist anpassungsfähig. Das zeigt übrigens auch die Statistik. 65% der Jobs in den USA sind beispielsweise Tätigkeiten, die es vor 25 Jahren noch gar nicht gab. Mit solchen Änderungen können wir umgehen.

Über die Expertin

Prof. Dr. Patricia Wolf ist Professorin für Integratives Innovationsmanagement an der Universität Süddänemark in Odense. Zudem ist sie Professorin für Innovationsmanagement und Mitglied des Zukunftslabors CreaLab an der Hochschule Luzern sowie Privatdozentin am Departement für Management, Technologie und Wirtschaft an der ETH Zürich.

Michael Siegenthaler, Arbeitsmarktexperte der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich

Werfen Sie für uns bitte einen Blick in die Zukunft: Werden viele unserer heutigen Jobs aussterben?

Anstatt von Jobs sollte man besser von Tätigkeiten sprechen. Denn Jobs bestehen in der Regel aus einer ganzen Reihe von Tätigkeiten. Computer und Roboter hingegen ersetzen meist einzelne Tätigkeiten, nicht ganze Jobs. Nehmen wir das Beispiel des Lastwagenfahrers – ein Job, der immer wieder als mögliches Opfer der Digitalisierung und Automatisierung genannt wird. Während das eigentliche Fahren durch den Einsatz selbstfahrender Lastwagen vielleicht tatsächlich einmal überflüssig wird, braucht es den Menschen bei diesem Job dennoch. Denken Sie ans Entladen: Die Situation gestaltet sich bei jedem Kunden anders. Es braucht Interaktion und damit menschliche Arbeitskraft, Intuition und die Fähigkeit, auf unterschiedliche Situationen flexibel zu reagieren. Die Frage ist also, welche Fähigkeiten in Zukunft mehr gefragt sind und welche weniger.

Und Ihre Antwort darauf?

Grundsätzlich gefährdet sind Routinetätigkeiten, die klaren Regeln folgen und repetitiv sind. Dazu gehört zum Beispiel die Aufgabe in Anwaltskanzleien, frühere Fälle herauszusuchen. Aufgrund von Big Data kann dies von Computern effizienter erledigt werden. Steigen dürfte der Bedarf nach Jobs, in denen vor allem abstraktes Problemlösen, Kreativität oder soziale Interaktion gefragt ist. Stark vertreten sind diese Tätigkeiten zum Beispiel in Berufen wie Forscher, Technologiespezialist, Lehrer, Pflegefachmann oder Manager sowie in kreative Berufen. Aber auch Gärtner oder Reinigungskräfte erledigen Arbeiten, die nicht einfach digitalisiert oder automatisiert werden können, weil sie eine flexible Anpassung an die Umwelt erfordern. Für einen Roboter ist das Reinigen eines Hotelzimmers viel zu komplex. Wie sollte er entscheiden, ob ein Gegenstand Abfall ist oder liegengelassen wurde?

Bleibt uns genügend Zeit, um uns für den Arbeitsmarkt der Zukunft vorzubereiten?

Auf alle Fälle sollten uns die Angstmeldungen in den Medien keine schlaflosen Nächte bereiten. Denn grundsätzlich wird die Geschwindigkeit des Technologiewandels immer überschätzt. Von Selfscanning-Kassen etwa spricht man schon seit Mitte der 2000er-Jahre. Aber erst jetzt finden sie den Weg in unseren Alltag. Das zeigt übrigens auch ein Blick in die Vergangenheit: Als in den 60er-Jahren die Bankomaten Einzug hielten, befürchtete man einen grossen Rückgang bei den Bankangestellten, weil Bankangestellte zu jener Zeit vor allem Geld herausgaben. Heute zeigt sich ein anderes Bild: Es gibt wesentlich mehr Bankerinnen und Banker als damals, aber sie übernehmen heute andere Aufgaben als Geld herauszugeben. Das Beispiel zeigt: Die Digitalisierung verursacht einen tiefgreifenden Wandel im Arbeitsmarkt und in vielen Berufsbildern. Aber viele unserer Fähigkeiten werden noch immer gefragt sein.

Über den Experten

Michael Siegenthaler ist Arbeitsmarktexperte der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich. Zudem arbeitet er als Dozent an der ETH und am Departement für Volkswirtschaftslehre der Universität Bern. Im NZZ-Ökonomenranking ist er unter den 25 einflussreichsten Schweizer Wirtschaftswissenschaftlern gelistet.

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