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Erstellt am 15.12.2021

«Wichtiger als die Schalterhalle werden Beratungsräumlichkeiten»

Fintechs automatisieren Bankenprozesse, Neobanken locken Kundinnen und Kunden mit günstigen Angeboten. Braucht es da die klassische Bankfiliale noch? In Teil drei der Fintech-Serie skizziert Bankenprofessor Andreas Dietrich im Interview die Bank der Zukunft.

Lösen Neobanken die traditionellen Banken ab?

Nein, das glaube ich nicht. Reine Neobanken, die nur online arbeiten, werden nicht alle Dienstleistungen für alle Kundengruppen anbieten. Für komplexere Bankengeschäfte braucht es für die meisten Kundinnen und Kunden weiterhin die persönliche Beratung – und diese wird auch in Zukunft noch überwiegend in der Bankfiliale durchgeführt werden.

Für welche Bankgeschäfte wird es weiterhin Beratung brauchen?

Beratungsintensiv sind insbesondere die Themen Vorsorge, Anlegen, Pensionierungsplanung oder auch der Neuabschluss einer Hypothek – nicht aber zwingend die Verlängerung. Auch bei einer Erbschaft können traditionelle Banken mit Beratung trumpfen. Dort sind viele Emotionen und viel Geld im Spiel.

Wären Kunden nicht auch bereit, sich am Telefon oder virtuell beraten zu lassen?

Während des Lockdowns infolge von Corona gab es tatsächlich deutlich mehr Videoberatungen als zuvor. Doch nach dem Lockdown fand der überwiegende Teil der Beratungen wieder vor Ort in den Filialen statt. Die meisten Kunden machen noch nicht so gerne Videoberatungen mit Finanzinstituten. Ich glaube zwar durchaus, dass die Relevanz von Videoberatungen zunehmen wird, aber zumindest kurz- bis mittelfristig werden sie das persönliche Gespräch in der Filiale noch nicht ersetzen. Telefonberatung ist hingegen bereits heute wichtig.

Manche Neobanken bieten auch Anlagelösungen an. Können Robo-Advisor eine Beratung ersetzen?

Ein Algorithmus kann Anlagevorschläge machen, ja. Und für eine gewisse Gruppe von Bankkundinnen und Bankkunden, ist dieses Modell durchaus spannend, weil solche Angebote häufig günstiger sind als traditionelle Anlagelösungen. Es zeigt sich aber, dass viele Kundinnen und Kunden lieber auf ein hybrides Modell setzen und nicht ausschliesslich online anlegen möchten. Generell lassen sich Anleger den folgenden Typen zuordnen:

  • Execution Only-Anleger wollen alles selber machen, vom Anlageentscheid bis zum Kauf/Verkauf der Anlage
  • Validatoren fragen jemanden – eine Finanzberaterin oder einen Finanzberater oder auch Freunde oder Familienmitglieder –, bevor sie eine Investition tätigen
  • Delegatoren interessieren sich nicht für die Finanzmärkte und übergeben ihr Vermögen lieber in die Hände eines Vermögensverwalters, der alle Entscheide für sie trifft

Wie viele Menschen tätigen Anlagen in Wertpapiere tatsächlich komplett selber?

n der Schweiz zählen nur 34% der Kundinnen und Kunden zur Gruppe Execution Only. 56% sind Validatoren – sie brauchen den persönlichen Austausch für den Anlageentscheid. Die restlichen 10% sind Delegatoren. Wichtig zu verstehen ist zudem, dass sich der überwiegende Teil der Schweizerinnen und Schweizer nicht für Finanzmärkte interessiert oder keine Zeit hat, sich damit auseinander zu setzen. Für sie ist und bleibt das Modell einer Anlageberatung oder einer Vermögensverwaltung die beste Option.

Es ist eine grosse Herausforderung, alle Kundengruppen zu bedienen und die Filialen entsprechend zu gestalten.

Kundenberatung ist also nach wie vor wichtig. Verändert sich die Rolle des Kundenberaters?

Es gibt Bereiche, in denen der Kundenberater oder die Kundenberaterin schon heute automatisiert wurde und in denen Menschen künftig nur noch eine marginale Rolle spielen. Beispielsweise braucht es bereits heute nicht mehr bei allen Banken zwingend einen Kundenberater oder eine Kundenberaterin für die Eröffnung eines neuen oder zusätzlichen Bankkontos. Auf der anderen Seite helfen die digitalen Möglichkeiten auch den Kundenberatenden in ihren Beratungsgesprächen.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Zum Beispiel kann in einer Anlageberatung direkt aufgezeigt werden, wie sich das Portfolio verändert, wenn Titel xy gekauft wird. Und im Bereich der Hypothekarberatung visualisieren Tools beispielsweise die Veränderung der Tragbarkeit in Abhängigkeit von verschiedenen Szenarien. Insofern verändern diese digitalen Möglichkeiten das Beratungsgespräch – aber aus meiner Sicht durchaus zum Guten.

Was bedeutet das für die Bankfilialen?

Generell befinden wir uns derzeit mitten in einer Transformationsphase. Es ist eine grosse Herausforderung, alle Kundengruppen zu bedienen und die Filialen entsprechend zu gestalten. Derzeit sind verschiedene Banken daran, Bankfilialen umzubauen und stärker in Richtung «Beratungsstützpunkte» zu gehen. Klar ist, dass dabei der Schalterbereich an Bedeutung verliert und oftmals nicht mal mehr angeboten wird. Ich gehe davon aus, dass die Anzahl der Bankfilialen auch in Zukunft weiter abnehmen wird.

Weniger Filialen, mehr Konkurrenz durch Neobanken – kann diese Rechnung aufgehen?

Im europäischen Vergleich hat die Schweiz noch immer ein sehr dichtes Filialnetz. Gemäss unseren Untersuchungen sind Kunden bereit, bis zu zwölf Minuten zur nächsten Bankfiliale zu fahren. Vielerorts könnten daher tatsächlich Filialen geschlossen werden. Trotzdem müssen auch andere Faktoren berücksichtig werden, etwa wie nahe die Konkurrenz mit einer eigenen Filiale ist. Fest steht, dass vor allem transaktionsbezogene Filialen schliessen und Schalter abgeschafft werden. Denn es werden immer weniger Transaktionen am Schalter getätigt.

In der Transformationsphase ist es wichtig, dass Aufklärungsarbeit geleistet wird.

Wie sieht die Bankfiliale der Zukunft aus?

Wichtiger als die Schalterhalle werden Beratungsräumlichkeiten. Die Ausgestaltungen dieser Beratungszimmer sind aber noch sehr unterschiedlich. Die einen Banken setzen auf das Konzept einer «Stubenbank», wo es so gemütlich sein soll wie zuhause im Wohnzimmer. Andere Banken implementieren vor allem digitale Tools und Gadgets im Beratungszimmer. Es gibt viele Möglichkeiten, die derzeit getestet werden.

Und was geschieht mit den Schalterhallen?

Diese könnten zu Cafés oder Veranstaltungsräumen umgenutzt werden. Bargeldtransaktionen werden künftig fast ausschliesslich an den Geldautomaten stattfinden. In der Transformationsphase ist es aber wichtig, dass Aufklärungsarbeit geleistet wird, etwa durch eine menschliche Assistenz, die erklärt, wie Einzahlungen an einem Geldautomaten getätigt werden.

Was bedeutet der Wandel für Menschen, welche die digitale Transformation nicht mitmachen können oder wollen?

Langfristig wird es für sie sicherlich komplexer. Zum Beispiel, indem sie für Bargeldeinzahlungen längere Wege zurücklegen müssen, weil das nur noch an gewissen Orten möglich sein wird. Oder die Gebühren werden angepasst, womit gewisse Dienstleistungen, die online getätigt werden könnten, bei persönlicher Beratung teurer werden. Heute gelten noch rund 10 bis 15% der Schweizer Bevölkerung als «Offliner». Diese Kunden bevorzugen für jegliche Art von Bankgeschäften immer eine Filiale gegenüber dem Online-Kanal. Zu dieser Gruppe zählen viele ältere Menschen, aber nicht nur. Das heisst, die Gruppe wird zwar kleiner werden, aber es wird immer Leute geben, die sich beispielsweise aus Angst vor Cyberkriminalität dem Online-Banking verweigern.

Wie tätigen Sie persönlich ihr Bankgeschäft?

Ich habe mehrere Bankbeziehungen, nutze Neobanken, Crowdfunding und Robo-Advisor – teils auch berufshalber. Ich bin ein ganz typischer Executive-Only-Kunde, habe fast nie Cash bei mir, ausser für den lokalen Dürüm-Stand oder fürs Migros-Wägeli. Da ich im Anlagebereich Entscheide selber fälle und selten in der Filiale bin, habe ich im Schnitt nur ein- bis zweimal jährlich Kontakt mit einem Kundenberater – meist kommt dieser auf mich zu. Trotzdem erachte ich persönlich die Bankfiliale als wichtig. Die Frage ist nur, wie dicht das Filialnetz tatsächlich sein muss.

Über Andreas Dietrich

Andreas Dietrich ist Professor für Banking und Finance. Der 45-Jährige leitet das Institut für Finanzdienstleistungen an der Hochschule Luzern. Als Dozent und Autor zahlreicher Publikationen befasst er sich intensiv mit den Entwicklungen im Finanzsektor. Seit 2015 sitzt er im Verwaltungsrat der Luzerner Kantonalbank.

Aussagen in diesem Interview sind nicht als Anlageempfehlung oder sonstige Beratung zu verstehen. Sie sind die persönlichen Gedanken eines Experten aus dem Bereich Fintech beziehungsweise Neobanken.

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