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Erstellt am 05.10.2021

«Die Mitarbeitenden dürfen spüren, dass ich einen sportlichen Ehrgeiz habe»

Sandra Lienhart leitet bei PostFinance den Bereich Retail Banking und ist Mitglied der Geschäftsleitung. Im Interview erklärt sie, wann sie den Spass an der Führung entdeckt hat und welche Ansprüche sie an sich als Führungsperson und an ihre rund 1300 Mitarbeitenden stellt.

Sandra Lienhard

Du leitest bei PostFinance den Bereich Retail Banking, der den physischen und digitalen Vertrieb, das Marketing sowie das Kontaktcenter umfasst. Wohin steuerst du diesen Bereich, der 2,5 Millionen Privat- und 275‘000 Geschäftskunden bedient?

Unser Ziel ist klar: Wir wollen zu den führenden Retailbanken im Privatkundenbereich gehören und möchten eine relevante Bank für unsere Geschäftskunden sein, allem voran im Zahlungsverkehr. Erreichen werden wir dies, indem wir uns klar als Anlagebank positionieren, indem wir alle unsere Angebote und Prozesse durch die Kundenbrille anschauen und sie entsprechend kundenorientiert umsetzen, und indem wir in die Digitalisierung investieren. Wir möchten, dass unseren Kundinnen und Kunden stets jenen Vertriebskanal wählen können, der gerade ihren Bedürfnissen entspricht – ob physisch oder digital, ob im Selfservice oder bei einer kompetenten Beratung in einer unserer Geschäftsstellen. Und ihnen so ein nahtloses und bequemes Banking ermöglichen.

Was ist dir bei der Führung deiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wichtig?

Für mich ist essentiell, dass ich den Mitarbeitenden Sinngebung vermitteln kann. Ich will ihnen aufzeigen, wohin die Reise geht, welche Schritte wir gemeinsam machen müssen und welche Folgen dies hat. Zudem ist es mir ein Anliegen, dass mich meine Mitarbeitenden als offen und transparent wahrnehmen. Über regelmässige Kommunikation will ich ein vertrauensvolles Umfeld schaffen. Ein Umfeld, in dem Fehler, aber auch konstruktive Kritik dazugehören, in dem ein respektvoller Umgang gepflegt wird und in dem jede und jeder authentisch bleibt. Auch dürfen die Mitarbeitenden spüren, dass ich einen sportlichen Ehrgeiz habe, der auch bei der Arbeit zum Tragen kommt. So setze ich die Ziele lieber ein wenig höher an als zu minimalistisch und nehme den Kampf auf, unsere KPIs auch zu erreichen – ohne Ausflucht in Ausreden.

Und was erwartest du von deinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern?

Vom Grundsatz her dasselbe, was ich auch von mir selbst erwarte. Nämlich ein solides Fundament, das sich aus Vertrauen, Respekt, Glaubwürdigkeit, Transparenz und Fairness zusammensetzt. Und noch etwas ist mir wichtig: dass sie Teamspirit an den Tag legen und die Bereitschaft haben, die Extrameile zu gehen.

Wie bist du zu deiner ersten Führungsposition gekommen?

Relativ jung. Mit 26 Jahre durfte ich bei der Credit Suisse ein Kreditteam mit fünf Mitarbeitenden führen. Bei dieser Aufgabe habe ich zum ersten Mal den Spass an der Führung erlebt. Sehr prägend war für mich die zweite Führungsposition, als ich mit knapp 30 Jahren bei der gleichen Bank die Geschäftsstelle in Kloten übernehmen durfte. Ich erinnere mich noch gut an das Hochgefühl, das ich damals beim Zugehen auf die Geschäftsstelle empfand. Ich dachte mir: «Wow, dafür bist du verantwortlich.» Lag ein Papierschnipsel am Boden, habe ich ihn aufgehoben. Schliesslich wollte ich den Kundinnen und Kunden das Haus von seiner schönsten Seite präsentieren.

Hast du deine bisherigen Karriereschritte geplant?

Nein, weder geplant noch angesteuert. Zu den Beförderungen ist es gekommen, weil meinen jeweiligen Vorgesetzten mein Einsatz und die Qualität der abgelieferten Arbeit aufgefallen sind. Mit der Zeit habe ich mir jedoch schon überlegt, ob ich das, was der Chef kann, auch könnte.

Du sagtest, dass du bei deiner ersten Führungsposition den «Spass an der Führung» entdeckt hast. Was genau machte dir Freude?

Es war dasselbe wie heute. Es machte und macht mir Freude, den Mitarbeitenden den Sinn ihrer Arbeit zu vermitteln, ihnen aufzuzeigen, wofür wir stehen, was wir zusammen erreichen wollen, und auch zu sehen, wo die Mitarbeitenden Potenzial haben und was man unternehmen kann, um sie weiterzuentwickeln. Es reizte und reizt mich, mit dem Team etwas zu erreichen und die Mitarbeitenden entsprechend zu fördern. Dazu muss man die Menschen mögen. Es geht auch darum, sie herauszufordern und ihnen ihre Fähigkeit vor Augen zu halten, einen Schritt über das Erwartete hinauszugehen. Entsprechend liegt es auch an mir, ihnen Verantwortung zu übertragen und Vertrauen zu schenken. Aber auch Hand zu bieten, wenn es darum geht, Lösungsvorschläge gemeinsam zu diskutieren und Ideen weiterzuspinnen.

Du kommst aus einer Unternehmerfamilie. Wie prägend war dies für deine eigene berufliche Laufbahn?

Aus verschiedener Sicht sehr prägend. Meine Eltern führten ein Messerfachgeschäft. Beim gemeinsamen Nachtessen drehten sich viele Gespräche um die Kundschaft. Denn ohne sie konnten meine Eltern kein Geld verdienen. Für ihre Kundinnen und Kunden gingen meine Eltern oft die Extrameile, auch nach Ladenschluss um 18.30 Uhr. Gleichzeitig brachten meine Eltern auch die verschiedensten Mitarbeitergeschichten nach Hause. Und von dem her denke ich schon, dass mir das Unternehmerische und die Freude am Umgang mit Kunden und Mitarbeitenden in die Wiege gelegt worden ist.

Was würdest du anderen Frauen raten, die eine Karriere anstreben?

Unabhängig ob Frau oder Mann rate ich, seine Ziele klar zu formulieren und sie mit dem Vorgesetzten zu besprechen. In der heutigen schnelllebigen Zeit empfehle ich aber auch, flexibel und offen für neue Aufgaben und Angebote zu sein. Wenn etwas Neues an einen herangetragen wird, das man vielleicht gar nicht auf dem Radar hatte, sollte man Bereitschaft zeigen, seine eigene Komfortzone zu verlassen. Und es gibt noch einen wichtigen Tipp: Man muss sich sichtbar machen – sei es bei der Arbeit, bei Projekten oder Vorträgen – und stets authentisch bleiben. Die Leute müssen spüren, dass man das, was man macht, mit Freude und Leidenschaft tut.

Braucht es mehr Frauen in der Führung?

Meiner Meinung nach nicht per se. Aber, wenn man gute Frauen in Führungspositionen nimmt, hat man die Chance, bei der Entscheidungsfindung zu anderen Erkenntnissen und Gewichtungen zu kommen. Gemischte Teams sind immer eine Bereicherung, da bei ihnen die unterschiedlichen Stärken von Frauen und Männern einfliessen – und damit auch diverse Sichtweisen.

Wie förderst du selbst Frauen in deinem Umfeld?

Bei der Förderung von Frauen – und Männern! – versuche ich, Mitarbeitende mit interessanten Fragestellungen zu beauftragen und mir dann ihre Resultate von ihnen präsentieren zu lassen. Weiter biete ich auch an, sich mit mir über ihre beruflichen Ambitionen auszutauschen, gebe Tipps und Tricks weiter und begleite hin und wieder Personen als Mentorin.

Sind es bei Frauen und Männern jeweils andere Tipps und Tricks, die du ihnen auf den Weg gibst?

Es ist schon so, dass es Männern tendenziell nicht an Selbstvertrauen fehlt, Frauen hingegen oft etwas mehr Ermunterung für einen nächsten Karriereschritt benötigen, indem man ihnen aufzeigt, dass sie die Fähigkeiten dazu haben und sie sich dies auch zutrauen können.

Was kann der Arbeitgeber beitragen, um Frauenkarrieren zu erleichtern?

Wenn ich bei PostFinance schaue, ist die Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben stark verankert und wird auch gelebt. Konkret besteht bei uns die Möglichkeit, Führungspositionen in einem Teilzeitpensum auszuüben. Und auch kleinere Massnahmen sind wichtig: So haben wir erst kürzlich einen Women‘s Talk ins Leben gerufen – eine Veranstaltungsreihe, bei der unsere Verwaltungsrätinnen und auch wir Frauen aus der Geschäftsleitung mit ambitionierten Mitarbeiterinnen über verschiedene Themen diskutieren und uns in kleineren Gruppen austauschen. Indem wir aufzeigen, welche Karrieren möglich sind, übernehmen wir eine Vorbildfunktion für andere Frauen. Nichtsdestotrotz haben wir aber festgestellt, dass wir betreffend Frauen in Kaderpositionen nicht überall schon dort sind, wo wir hinwollen, und haben uns klar messbare Ziele gesteckt.

Wo hapert es noch?

Während die Frauen beim Verwaltungsrat und in der Geschäftsleitung vorbildlich vertreten sind, gibt es im mittleren und oberen Kader noch Potenzial.

Du hast die Vereinbarkeit von Beruf und Familie mit Teilzeit angesprochen. Hast du diese Möglichkeit auch selbst genutzt?

Ich habe stets 100 Prozent gearbeitet oder ein paar Prozent mehr. Jedoch habe ich keine Kinder.

Beruf, Freizeit und Familie: Welche Komponente ist dir besonders wichtig?

Mir sind alle drei Komponenten sehr wichtig. Ich bin ein ausgeprägter Familienmensch. Die Familie gibt mir sehr viel. Es ist der Ort, wo ich über alles reden kann – und lachen, auch über mich selbst. Der Beruf war mir schon immer wichtig: Ich habe schon immer sehr gerne gearbeitet und mich mit den verschiedensten Themen auseinandergesetzt. Und in der Freizeit hole ich mir die Kondition, um alles unter einen Hut bringen zu können. Ich bin äusserst gerne sportlich in der Natur unterwegs, sei es auf dem Rennvelo, beim Joggen oder beim Wandern. Zudem amte ich als Präsidentin eines Unihockey-Sportclubs.

Du bist seit deiner kaufmännischen Lehre bei der Credit Suisse in der Bankenwelt geblieben. Warum?

Vielmehr als wegen der Thematik bin ich dieser Branche treu geblieben, weil ich bei all meinen Aufgaben mit Mitarbeitenden, Kunden und Führung zu tun habe. Dafür schlägt mein Herz. Im Laufe der Zeit sind immer wieder spannende Jobs an mich herangetragen worden, bei denen ich mein Herzblut einsetzen konnte. So verspürte ich gar nie das Bedürfnis, die Branche zu wechseln. Spannend ist, dass mein Umfeld mich nach wie vor als «atypische Bankerin» sieht.

Welches waren die grössten Herausforderungen in deinem bisherigen Berufsleben?

Zum einen die Repositionierung der Bank Coop in die Bank Cler und die damit verbundene Aufgabe, aus einer altbackenen Bank eine moderne zu machen. Zum andern waren es verschiedene Reorganisationen, bei denen es um Stellenabbau und die Schicksale von Mitarbeitenden ging. Die Herausforderung bestand darin, diese auf eine gute, faire Art umzusetzen.

2004 hast du in der Geschäftsleitung der ehemaligen Bank Coop Einsitz genommen und wurdest «als erste Frau» angekündigt. Wie lange wird es dauern, bis Frauen in der Geschäftsleitung eine Selbstverständlichkeit sind?

Es wird immer selbstverständlicher. Und es wäre zu begrüssen, wenn es so selbstverständlich wird, dass Frauen in der Geschäftsleitung und in anderen Kaderpositionen nicht mehr speziell erwähnt werden müssten.

About

Sandra Lienhart leitet seit März 2020 den Bereich Retail Banking bei PostFinance. Zuvor arbeitete sie in verschiedenen Funktionen bei der Bank Cler (ehemals Bank Coop), unter anderem als Leiterin des Geschäftsbereichs Vertrieb und als Vorsitzende der Geschäftsleitung. Ihre berufliche Laufbahn hat sie bei der Credit Suisse gestartet. Sandra Lienhart verfügt über einen Executive MBA ZFH der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich und der University of Virginia Darden School of Business, USA.

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