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Erstellt am 07.08.2019

Behavioral Finance: Anlageentscheide rationaler treffen

Anlageentscheide rein rational zu treffen, ist der Wunsch vieler Anleger. Denn wer vernünftig und zielgerichtet entscheidet, entscheidet so gesehen richtig. Trotzdem werden Anlageentscheide oft und unbewusst irrational gefällt. Mit der verhaltensorientierten Finanzmarkttheorie («Behavioral Finance») widmet sich eine ganze Subdisziplin der Wirtschaftswissenschaften dem Verhalten von Menschen auf den Finanz- und Kapitalmärkten. Das kann auch für Anleger interessant sein – wer sich mit den Grundlagen der Behavioral Finance auskennt, kann sein eigenes, irrationales Verhalten erkennen und bessere Entscheidungen treffen.

Wer zwei Aktien hält, wovon eine 15% Verlust erlitten und eine 15% Gewinn erwirtschaftet hat, wird wohl eher die zweite Aktie verkaufen, wenn er Kapital benötigt. Rational richtig wäre es, die Aktie zu verkaufen, die sich auf dem absteigenden Ast befindet. Unser Unterbewusstsein rät uns jedoch dazu, den Erfolg, den wir mit der Gewinner-Aktie erzielen können, umzusetzen – statt die Verlierer-Aktie zu verkaufen und uns einzugestehen, dass wir einen Verlust erlitten haben. Schliesslich könnte die Aktie ja mal wieder steigen. 

Genau solches Verhalten untersucht die verhaltensorientierte Finanzmarkttheorie. Sie zeigt Anlegern auf, wie Anlageentscheide entstehen können – und wie irrational diese trotz ihren Bemühungen, rational zu denken, doch gefällt werden. Besonders beim aktiven Investieren laufen Anleger Gefahr, sich irrationaler zu verhalten, als sie eigentlich möchten – beziehungsweise als sie eigentlich denken. 

Märkte und Menschen funktionieren nicht nach Modellen und Theorien

Geprägt wurde die verhaltensorientierte Finanzmarkttheorie von den Psychologen Daniel Kahneman und Amos Tversky sowie vom Wirtschaftswissenschaftler Richard Thaler, die zahlreiche Theorien und Modelle zu Behavioral Finance entwickelten. Sie zeigten unter anderem auf, dass es verschiedene Modelle der theoretischen Wirtschaftswissenschaft und der Verhaltensökonomie in der Realität gar nicht gibt:  

  • Das fiktive Modell des «Homo oeconomicus» geht davon aus, dass Akteure in der Wirtschaftswelt komplett rational handeln und nur durch ihr eigenes Interesse motiviert sind. Tatsächlich ist es aber so, dass die Entscheidungen von Menschen nicht nur von rationalen Faktoren beeinflusst werden, sondern auch sehr stark von irrationalem Verhalten und unterbewussten Handlungen und Mustern.
  • In der Finanztheorie wird oft das Modell der «effizienten Märkte» (auch Markteffizienzhypothese genannt) beigezogen. Nach dieser Theorie funktionieren Finanzmärkte effizient. Das bedeutet, dass die erzielten Preise sämtliche Informationen reflektieren, die in diesen Märkten verfügbar sind. Die These besagt somit, dass es daher nicht möglich ist, aus vermeintlichen Informationsvorsprüngen ausserordentliche Gewinne zu ziehen. Das funktioniert aber nur, solange Anleger ausschliesslich rational unterwegs sind. Herdenverhalten oder Panikverkäufe zeigen laut Behavioral Finance, dass an den Börsen irrational gehandelt wird. Kurse folgen daher nicht immer einer effizienten Preisbildung. 

In einer idealen Welt, in der «Homo oeconomicus» und «effiziente Märkte» herrschen, verfügen die – komplett rationalen – Investoren über sämtliche verfügbaren Informationen am Markt und können diese fehlerfrei einordnen und rein logische Schlüsse daraus ziehen. Tatsächlich ist es aber so, dass Anleger irrational handeln, gewisse Informationen als wichtiger oder unwichtiger einschätzen, als diese sind, und so auch falsche Anlageentscheide fällen. Die verhaltensorientierte Finanzmarkttheorie erklärt, weshalb dies so ist – und weshalb es durch eine Wiederholung dieser Entscheide zu vermeintlich unlogischen Entwicklungen an den Märkten kommt. Anleger, die diese Einflussfaktoren erkennen und einordnen können, sind in der Lage, ihre Strategien entsprechend anzupassen.

Menschen überschätzen sich

Generell neigen wir dazu, vermeintliche Muster erkennen zu wollen, und nachträglich eine Begründung dafür zu suchen. Wenn ein Fonds zum Beispiel regelmässig zum Jahresende stark an Wert gewinnt, erwarten wir auch in den kommenden Jahren einen Anstieg zum Jahresende – ohne uns genau zu überlegen, ob die beobachteten Jahre und Entwicklungen auch repräsentativ sind. Wir überschätzen also im Grunde genommen unsere Fähigkeit, rationale Muster zu erkennen. Anlageentscheide können aber auch durch viele andere «Denkfehler» und «Fallen» beeinflusst werden, in die Anleger immer wieder tappen. Das sind beispielsweise: 

Kognitive Dissonanz

In unserem Leben treffen wir immer mal wieder Fehlentscheide. Sie einzugestehen, fällt uns meist schwer. Deshalb suchen wir lieber nach Gründen und Ausreden für den vermeintlich richtigen Entscheid, statt ihn als Fehlentscheid zu akzeptieren und daraus zu lernen. Für Anleger heisst das zum Beispiel: Sie kaufen eine Aktie, von der Sie überzeugt sind, die sich aber schnell viel negativer entwickelt als angenommen. Statt die Aktie nun zu verkaufen und sich einen Verlust einzugestehen, kaufen Sie weiter diese Aktien, um den durchschnittlichen Einstandskurs möglichst tief zu halten. 

Verzerrte Risikowahrnehmung

Generell fällt es uns schwer, Risiken korrekt einzuschätzen. Anlegern sind unbeliebte Aktien häufig zu riskant und sie lassen deshalb die Finger davon. Hingegen investieren sie lieber in «heisse» Aktien mit starken Erfolgsgeschichten, weil sie sich damit sicherer fühlen. Entsprechend sind beliebte Aktien oft überbewertet, während unbeliebte Aktien häufig unterbewertet sind. 

Selektive Wahrnehmung

Die «News Bubble» war in den vergangenen Jahren in aller Munde. Um alle Informationen, die täglich auf uns einprasseln, einordnen zu können, müssen wir selektionieren, also einordnen, was wichtig oder richtig und unwichtig oder falsch ist. Das führt dazu, dass wir Informationen filtern – und denjenigen Informationen den Vorzug geben, die sich mit unserer Einstellung oder bereits getroffenen Entscheidungen vereinbaren lassen. Wenn wir also eine Aktie kaufen und danach lesen, dass sich diese toll entwickeln wird, geben wir dieser Information mehr Gewicht als anderen Artikeln, die über einen möglichen negativen Verlauf der Aktie schreiben. 

Mentale Buchführung

Für alle Vorhaben in unserem Leben führen wir mentale Konten. Das bedeutet, dass wir verschiedene Ereignisse anders behandeln. Anleger, die in verschiedene Assetklassen investieren, denken nicht an Rendite und Risiko ihrer Anlage als Ganzes, sondern investieren weiterhin in die einzelnen Assetklassen – also zum Beispiel in Aktien oder Obligationen. Entsprechend anders gehen sie mit den einzelnen «Konten» auch um. Noch einfacher verständlich ist die mentale Buchführung, wenn wir tatsächliche Konten anschauen: Wenn Sie wenige Tage vor der nächsten Lohnzahlung die Wahl haben, entweder Ihr Privatkonto um CHF 100.– zu überziehen oder einen Übertrag von Ihrem Sparkonto zu tätigen, entscheiden Sie sich in der Regel dafür, das Privatkonto etwas zu überziehen. Schliesslich hat das Sparkonto einen ganz anderen Status in Ihrer mentalen Buchführung als das Privatkonto. 

Spielerfehlschluss (Gambler’s Fallacy)

Der Spielerfehlschluss ist eine Falle, in die wir immer wieder unbewusst tappen. Wir gehen nämlich fälschlicherweise davon aus, dass ein zufälliges Ereignis wahrscheinlicher wird, je länger es nicht eingetreten ist – und umgekehrt. Ist also schon länger keine Börsenkorrektur oder sogar ein Crash passiert, gehen wir davon aus, dass demnächst wieder ein Crash eintreten wird. Oder ganz einfach beim Münzwurf: Die Wahrscheinlichkeit liegt immer bei 50% ob Kopf oder Zahl gewinnt. Auch wenn schon drei Mal hintereinander die Zahl gewonnen hat, liegt bei einem weiteren Wurf die Wahrscheinlichkeit bei 50/50.

Wie handeln Sie?

Wie Sie selbst handeln, können Sie an folgenden Beispielen testen: 

Rational und exakt berechnet, müssten Sie sich bei der ersten Frage für Antwort A entscheiden – hier ist es sicher, dass Sie mehr Geld erhalten.

Ein risikoneutraler Investor kann bei den Fragen 2 und 3 beide Antworten wählen. Personen, die besonders risikofreudig sind, entscheiden sich bei beiden Fragen für Antwort A. Bei der zweiten und dritten Frage haben Studien gezeigt, dass die meisten Personen B (Frage 2 ) und A (Frage 3) als Antwort geben. Das zeigt: Menschen bevorzugen einen sicheren Gewinn gegenüber einem möglichen höheren Gewinn. In Situationen, in denen sie ihren Verlust begrenzen können, tun sie das. Verluste werden von Menschen stärker gewichtet als Gewinne im gleichen Ausmass. 

Neutrale Fakten helfen, Emotionen im Zaun zu halten

Was heisst das für Anleger? Sie sollten möglichst objektiv handeln, sich eine Grundlage mit neutralen Fakten zusammenstellen und berechnen, wie viel man an Vermögenswert für eine Investition erhalten würde. Dies bedingt Konsequenz und Disziplin, insbesondere, wenn diese objektive Entscheidfindung dem üblichen Verhalten oder Ihrer Intuition widerspricht. Anlegen gemäss verhaltensorientierter Finanzmarkttheorie ist etwas anderes, als nach herkömmlichen Anlagestrategien anzulegen. Behavioral Finance gibt keine Strategie vor, sondern hilft Anlegern einzuschätzen, wie stark sich Emotionen auf die Preise am Markt auswirken. 

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