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Erstellt am 22.07.2019

Was tun, wenn ein Mitarbeitender stirbt?

Wenn ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin stirbt, ist dies stets ein Verlust – sowohl für das Unternehmen als auch menschlich für alle Mitarbeitenden. Für ein Unternehmen ist eine gut durchdachte Vorbereitung und ein bisschen Mit- und Taktgefühl in solchen Situationen enorm wichtig. Wir haben mit Frau Stéphanie Berger, Trauer- und Sterbebegleiterin, darüber gesprochen, wie Unternehmer mit Todesfällen umgehen können. Denn ein Todesfall soll nicht zu einem Krisenfall werden.

Frau Berger, wie schätzen Sie das Bewusstsein in Schweizer Unternehmen zum Thema Todesfall ein? Ist es etwas, worauf sich Unternehmen vorbereiten oder lassen sie das eher auf sich zukommen?

Ich habe sehr viel darüber nachgedacht. Ganz persönlich erlebe ich es oft, dass Firmen zum Teil nicht vorbereitet sind, was katastrophale Nachwirkungen für Angehörige haben kann. Aufgrund meiner Tätigkeit als Trauerbegleiterin erfahre ich von Klienten, dass einfachste Handlungen nicht stattgefunden haben, und Dinge gesagt wurden, bei denen Angehörige lange Zeit brauchten, um darüber hinwegzukommen.

Ist es weit verbreitet, dass sich Unternehmen auf Todesfälle vorbereiten?

Nein, ist es nicht. Aber das Unternehmen hat es wirklich selbst in der Hand: Nehmen wir an, dass ein Mann auf der Arbeit einen Herzinfarkt erleidet und tot vom Stuhl fällt. Die erste Handlung, die ersten Worte, die getan bzw. gesprochen werden, brennen sich bei den Anwesenden ein. Für Angehörige fängt das Drama dann an, wenn der Chef nach Hause anruft und sagt, dass der Vater oder der Sohn vor einer Stunde gestorben ist. Während der Chef das Drama vor einer Stunde hatte, beginnt die Tragödie für die Angehörigen mit diesem Anruf. Jedes Wort dieses Anrufes wird noch lange im Gedächtnis der Angehörigen bleiben, im Guten wie im Schlechten.

Der Return on Investment ist vielleicht, materiell gesehen, null. Aber das Corporate Behaviour gewinnt.

Vielleicht empfiehlt ein Angehöriger später einmal jemandem das Unternehmen, weil es damals so souverän gehandelt und gut zu seinen Leuten geschaut hat.

Eine Führungsperson hat in diesem Fall eigentlich zwei Aufgaben: Sie erlebt ja selbst ein Trauma, also muss sie sich selbst versorgen, andererseits muss sie die Situation managen.

Das nennt sich «Selbstsorge» und ist unglaublich wichtig. Wenn man erfährt, dass vor einigen Minuten ein Mitarbeitender verstorben ist, löst dies Emotionen bei einem aus. Führungspersonen dürfen zeigen, wie sie sich fühlen, und vielleicht sagen: «Ich bin gerade erschüttert» oder «ich brauche einen Moment». Das ist wichtig. Stellen Sie sich vor, die Führungsperson wäre total gefasst und würde gleich sagen: «Rufen Sie den Personalchef an, lassen sie Herrn XY ausstempeln und schalten Sie seinen Computer aus.»

Gerade wenn man sich bewusst ist, dass es ab jetzt sehr darauf ankommt, welche Worte man wählt und wie man reagiert, lohnt es sich, sich zuerst einmal die nötige Zeit zu nehmen, sich zu sammeln.

Was können die Konsequenzen sein, wenn man falsch reagiert – zum Beispiel für die Angehörigen?

Ich möchte das Wort «falsch» meiden – ich würde eher «ungeschickt» sagen, denn vermutlich steckt keine böse Absicht dahinter. Eine Witwe hat mir von ihrem Erlebnis erzählt, bei dem das Unternehmen sehr ungeschickt gehandelt hat: Ihr Mann hatte mehrere Jahrzehnte in einem Unternehmen gearbeitet und nach seinem Tod bekam sie eine Karte mit einer Standardfloskel – keine persönliche Notiz oder Anekdote, nichts. Zur Beerdigung hatte sie weder einen Kranz noch einen Blumenstrauss erhalten. Ein paar Arbeitskollegen sind zur Beerdigung gekommen, mussten aber dafür frei nehmen oder Überstunden einlösen. Von den Führungspersonen ist niemand gekommen. Es sind kleine Gesten, die einen Unterschied machen können. Dann hatte die Sekretärin sie später angerufen und gefragt, ob sie die Sachen ihres Mannes abholen kommen könnte. Diese hat man ihr dann in einer Schachtel übergeben. Die Witwe konnte den Platz nicht besichtigen, an welchem ihr Mann über Jahrzehnte gearbeitet hat und wo er verstorben ist. Mit kleinen, aufmerksamen Gesten hätte man einen so grossen Unterschied machen können. Das Kondolenzschreiben oder die Anwesenheit an der Beerdigung gehören zur absoluten «Traueretikette für Unternehmen».

In diesem Fall hätte das Unternehmen der Witwe zum Beispiel anbieten können, den Platz selbst zu räumen?

Ja, das hätte schon gereicht, um ihr die Verarbeitung zu erleichtern, und das Unternehmen hätte seine Wertschätzung ihrem Mann gegenüber gezeigt. Er war ein Handwerker, und es wäre doch schön gewesen, wenn ein Kollege gekommen wäre und der Witwe den Lieblingsschraubenzieher ihres Mannes gegeben hätte, damit sie ihn ihrem Sohn geben kann. Eine Firma wird doch einen Schraubenzieher entbehren können?

Ganz kleine Gesten und Dinge können eine unglaubliche Wirkung haben. Man glaubt das fast nicht, wenn man es nicht selbst erlebt hat.

Natürlich kommt nicht bei jedem Mitarbeitenden gleich der CEO angereist, aber eine offizielle Geste ist angebracht. Es kommt natürlich auch darauf an, wie lange jemand in einem Unternehmen gearbeitet hat und welche Funktion die Person innehatte. Es gibt aber durchaus Unternehmen, die eine Todesanzeige schalten, auch wenn der Mitarbeitende erst ein halbes Jahr bei ihnen gearbeitet hat. Das wird auffallen – und zwar im Positiven.

Vorhin haben Sie die Führungsperson erwähnt – an wem ist es, Herr oder Frau einer Situation zu werden, wenn es am Arbeitsplatz zu einem akuten Todesfall kommt?

Ich will das nicht an die Hierarchie binden. Es wäre gut, wenn jemand die Zügel in die Hand nimmt. Und natürlich sollte man das mit dem Vorgesetzten absprechen. Zum Beispiel: «Ich habe schon einmal eine solche Situation erlebt – darf ich?» Es ist möglich, dass dieses Angebot dankend angenommen wird.

Es ist immer ideal, wenn alles bei einer Person zusammenläuft. Delegieren ist in diesem Fall sehr wichtig – gerade auch für die Beteiligten. Diese haben häufigen ein Ohnmachtsgefühl. Das ist grauenhaft. Diese Leute zu beschäftigen, hilft bei der Verarbeitung des Todesfalles. Man kann zum Beispiel die Umstehenden bitten, Wasser für alle zu holen – das ist keine grosse Sache, hilft aber den umstehenden Personen, sich nicht ganz so machtlos zu fühlen.

Wir haben bisher vor allem vom akuten Todesfall am Arbeitsplatz gesprochen. Was ist aber, wenn jemand zu Hause oder unterwegs stirbt – ändert sich etwas am Vorgehen?

Ich würde sagen die Vorgehensweise ist gleich – denn der Arbeitsplatz ist am nächsten Morgen in beiden Fällen leer.

Wenn ein Mitarbeitender stirbt – egal, ob es akut oder zu Hause war – wie führt man ein Team durch einen solchen Verlust?

Man kann das selbst machen oder sich die Unterstützung von Trauerbegleitenden holen. Ich persönlich finde es schon schön, wenn sich die Führungsperson überhaupt damit befasst. Man hat verschiedene Möglichkeiten: Zum Beispiel kann man ein Zeitfenster zusammenstellen und sich dabei am Buddhismus, am Katholizismus, am Judentum orientieren oder sich selbst einen schrittweisen Abschied ausdenken. Er sollte aber auch nicht zu lange dauern und zu einem Abschluss kommen.

Ich habe einmal eine Mitarbeitende mit einem Team zusammen verabschieden dürfen. Hierzu habe ich mit dem Teamleiter zusammen etwas zusammengestellt. Wir haben Schritte von 30 und dann 100 Tagen gewählt: Nach 30 Tagen haben wir den Tisch geräumt, aber noch Bilder dagelassen. Nach 100 Tagen haben wir dann auch noch die Bilder weggeräumt.

Das Problem vom sang- und klanglosen Verschwindenlassen von jemandem ist, dass sich die Mitarbeitenden bewusst werden, wie wenig sie als Mitarbeitende dem Unternehmen wert sind.

So verscherzt man sich das Wohlwollen seiner Mitarbeitenden. Es ist Wertschätzung, die vielleicht nicht bewusst, aber unbewusst wahrgenommen wird.

Es ist wichtig, für sämtliche unvorhersehbaren und unplanbaren Vorfällen und Ausfällen von Mitarbeitenden ein Vorgehen definiert zu haben – so wie Unternehmen ja auch Feuerübungen oder medizinische erste Hilfe üben. Der emotionale Aspekt einer solchen Situation ist so ausserordentlich, dass Sie froh sind, wenn Sie so viel wie möglich bereits geregelt haben.

Über die Expertin

Stéphanie Berger arbeitet als Trauer- und Sterbebegleiterin und bietet unter anderem Kurse für Unternehmen an, welche sie auf solche Situationen vorbereiten. Dazu gehört auch die oben erwähnte «Traueretikette für Unternehmen». Mehr dazu erfahren Sie auf ihrer Website Der Link öffnet sich in einem neuen Fenster www.trauer-begleitung.ch.

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